Zur Lage der Nation

Man könnte glauben, die Welt geht vor die Hunde. Während in einer Ecke der Welt eine Völkerwanderung aufgrund von Hunger und Krieg begonnen hat, entwickeln sich in einer anderen Ecke zunehmend Spannungen die für niemanden nachvollziehbar sind der nicht 20 Jahre Politikwissenschaft studiert hat. Und Europa befindet sich auffallend direkt im Zentrum dieser Krisen. Das ist erst mal okay… denn auch wenn unsere „besorgten Bürger“ so tun als würden uns die Flüchtlinge direkt in [bitte das zutreffende auswählen] den Hungertod | die Anarchie | das Ende der zivilisierten Welt treiben, gehe ich davon aus das die größte Volkswirtschaft in Europa und die viertgrößte der Welt, den Ansturm der bösen fremden gerade so verkraften wird. Zumal wir die Gelegenheit nutzen sollten um uns nach außen möglichst gut darzustellen. Angesichts dessen was sich so an Spannungen rings um uns herum aufbaut, ist nicht mehr ganz ausgeschlossen das wir nicht selbst eher früher als später irgendwo um Asyl bitten müssen. Manche der „besorgten Bürger“ sollte darüber einmal nachdenken.

Aber selbst wenn die Ambitionen seitens Russlands nicht zu einer Eskalation – mit wem auch immer – führen, gibt es hundert andere Dinge die unser ach so schönes und modernes Deutschland zurück ins Mittelalter befördern können. Konflikte sind dabei zwar eine sehr wahrscheinliche Methode, aber bei weitem nicht die einzige. Technologische „Katastrophen“ würden genauso zum Verfall der Gesellschaft führen wie ein ordentlicher Krieg. Vermutlich wären die Folgen sogar noch weitreichender als in einem bewaffneten Konflikt. So oder so sollte sich der vermutlich recht bequeme und übergewichtige Durchschnittsdeutsche klar machen, das seine schöne zivilisierte Welt auf ganz dünnem Eis steht. Unsere Infrastruktur ist sensibel. Unser Stromnetz ist alt und hat schon in einem strengen Winter erhebliche Probleme. Unsere Abhängigkeit von Importen aller Art ist unbestritten. Wir brauchen Öl, Gas, Nahrungsmittel und diverse andere Dinge. All das muss bestellt und bezahlt werden. Wie machen wir das? Mit Computern. Und gerade die sind bekanntlich alles andere als sicher. Von den Netzen die sie übertragen ganz abgesehen. Ein europaweiter Ausfall des Stromnetzes im Winter würde vermutlich dazu führen das sich der ganz wesentliche Teil der „besorgten Bürger“ sehr schnell auf den Weg in ein wärmeres Land machen würde. Denn so sehr mich die deutsche Neigung zur Kontrolle und Planung auch beeindruckt – für elementare Störungen des täglichen Lebens über längere Zeit hinweg, haben wohl auch wir keinen Plan in der Tasche. Und wenn der Strom weg ist? Wenn die Computer nicht mehr funktionieren um all die Dinge zu ordern die unsere Gesellschaft braucht aber nicht selbst produzieren kann? Wenn es wohl möglich noch kalt ist… In dem Fall ist unsere moderne Gesellschaft nichts mehr wert. All das was heute die Basis unserer „Überlegenheit“ ausmacht, ist dann hinfällig. Und das meiste davon lässt sich nicht einmal besonders gut verbrennen wenn man keine Vergiftung riskieren will. Und die Menschen in Deutschland sind wohl auch keine besonderen Leuchten darin, in einem Land zu überleben in dem nicht mehr alles Notwendige im Supermarkt um die Ecke erhältlich ist. Natürlich wird es einige härter als andere treffen. Manche sind abhängiger als andere. Aber wenn der Zustand nur lang genug andauert, wird es jeden betreffen.

Wir sollten uns bewusst machen – und zwar BEVOR wir uns über andere aufregen – das alles was uns „Überlegenheit“ verschafft, nach einer lächerlich kleinen Anzahl von Ereignissen hinfällig sein kann. Das wir dann genauso „Rückständig“ sind und genauso Hilfe brauchen wie diejenigen die derzeit mehrheitlich freundlich anklopfen. Unsere Zivilisation bis hinunter zu den Transferleistungen wie ALG II, basieren auf Techniken die vergänglich sind. Und wir sollten uns dringend bewusst machen, das wir aktuell keinen Schutz gegen diese Vergänglichkeit haben. Werder können wir etwas gegen die großen natürlichen Katastrophen ausrichten, noch würden wir in einem bewaffneten Konflikt eine besonders imposante Figur machen. Wir haben zum richtigen Zeitpunkt von der Intervention anderer Nationen profitiert. Wir haben uns zu einer Wirtschaftsmacht entwickelt… und dabei vergessen was bleibt wenn eben jene Wirtschaft zusammenbricht – warum auch immer. Was wird aus den Menschen wenn sie kein Geld mehr aufs Konto bekommen weil es keine Konten mehr gibt? Was wird aus den lauten und aggressiven wenn das Geld für Bier, Zigaretten und Benzin ausgeht? Was passiert wenn die Heizung kalt bleibt? Wie verhalten sie sich, wenn paramilitärische Kräfte durchs Viertel streifen und mehr oder weniger willkürlich die Nachbarn verhaften weil sie die den falschen Glauben oder den falschen Pass haben? Es ist in Ordnung Kritik zu üben. Manchmal ist es sogar mehr als notwendig! Aber diese Kritik muss eine Basis haben. Man muss sich der eigenen Schwächen bewusst sein bevor man die Stimme gegen andere erhebt. Und gerade in Deutschland, im Pöbel wie in der Politik (wobei hier manchmal eine Differenzierung nicht einfach ist), scheint gerade diese Erkenntnis nicht sonderlich verbreitet zu sein. Stattdessen greifen wir mal mehr mal weniger offen diejenigen an, die „eindeutig“ schwächer sind. Dabei ignorieren wir zutiefst das uns vom Leid der anderen nur flüchtige Dinge trennen. Natürlich sind wir in der Lage uns gegen viele Bedrohungen zu schützen. Bisweilen mit vollkommen unverhältnismäßigen Mitteln. Aber wir neigen auch dazu, uns leicht von den wirklich wichtigen Dingen ablenken zu lassen. Man präsentiert uns immer wieder einfache Feinbilder auf die sich die Masse stürzen kann damit sie bloß nicht auf die Idee kommt, sich auf wirklich relevante Probleme zu konzentrieren (wohlmöglich die eigene, alles andere als berauschende Position im Leben). Man will unangenehme Fragen vermeiden. Oder gar die Forderung nach Änderungen. Stattdessen wird jedes noch so unwichtige Thema so lange aufgeschaukelt bis die öffentliche Meinung konform mit den Tendenzen von einigen wenigen ist.


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