Lass uns reden Internet

Ach Internet… Dein Untergang steht bevor! Sagen sie uns wenigstens. Immer und immer wieder. Artikel 13 eines vollkommen bekloppten Gesetzes zum Schutz von Rechteinhabern gegenüber den bösen Internetpiraten zum Beispiel. Oder anders ausgedrückt: Der Beweis des kollektiven Versagens unserer Regierung aufgrund kompletter technischischer Ignoranz und sturem Lobbyismus Protektionismus.

“Jetzt haben” wir das Theater also. In Zukunft müssen die “großen” Onlineportale also bereits beim Upload von Inhalten prüfen, ob diese gegen Urheberrechte verstoßen. Was technisch, als auch logistisch, ziemlich unmöglich ist. In einer Welt, in der nicht einmal Bundesbehörden Satire erkennen wenn sie sie sehen, müssen wir wohl nicht darauf hoffen, dass ein technisches System das leistet. Es geht schlicht nicht. Abgesehen von der unfassbaren Menge an Material, das in Echtzeit gesichtet und bewertet werden will.

“ABER” sagen die Befürworter, die EU gibt ja Filter nicht mal vor. Man könne ja auch entsprechende Lizenzen mit den Rechteinhabern abschließen. Ähh…. nun, wer so was ernsthaft vorschlägt, der lebt offensichtlich in einer sehr speziellen Welt. Sehr viel wahrscheinlicher ist folgendes Szenario: Die großen Player entwickeln passende Filter die “relativ gut” funktionieren. Was unklar ist, wird direkt geblockt. Und weil das so gut läuft, werden die Filter im besten kapitalistischen Gedanken direkt an die Mitbewerber verkauft. Denn gerade kleine Portale dürften weder die Mittel für die Entwicklung eines eigenen Filters haben, noch die finanziellen Mittel um entsprechende Lizenzen mit X Rechteverwertern abzuschließen. Also haben wir am Ende des Prozesses wohl einfach einige wenige, dafür umso größere Anbieter. Aufgrund des zu erwartenden Overblockings gehen also gerade die eher leer aus, die man ursprünglich mal besser stellen wollte: Die Künstler. Nun, ich behaupte mal, ich ahne wer bei der Nummer am längeren Hebel sitzt. So viel will ich verraten – es sind nicht die Künstler und nicht die User.

Das Ende ist nahe!1!11 NAHE!!!

Und während unsere Kanzlerin wenig elegant die größte Schülerbewegung der letzten Jahrzehnte mit russisch koordinierten Destabilisierungskampagnen in Zusammenhang bringt (immerhin so sehr, dass der Regierungssprecher sich danach zu einer Richtigstellung genötigt sieht), werden tatsächlich tausende durch die eine oder andere Aktion zum aufstehen bewegt. Natürlich einerseits die großartige #FridayForFuture Bewegung, als auch die vielen Tausend, die sich unter dem Motto #SaveYourInternet auf der Straße treffen. Ja, das Internet kann bewegen! Sogar ganz friedlich – abgesehen vom üblichen rechten Bashing durch die, denen die Materie eigentlich nach dem ersten Satz schon zu kompliziert ist. Die Anti-Artikel-13 Gruppe ist auch jene, die ich hier ein bisschen umfangreicher mit Text beglücken will. Tatsächlich meine ich nämlich einen gewissen Missstand entdeckt zu haben. Aber vielleicht sollten wir kurz – zum besseren Verständnis – meinen Blick auf’s Internet betrachten: Das Internet (was übrigens richtiger “Interconnected Networks” / “Internetwork” heißt) ist ein loser, dezentral organisierter Verbund aus beliebig vielen Netzwerken. Wenn ich nun Teil dieses Netzwerks bin, kann ich mittels diverser Protokolle Daten von A nach B schubsen. Eine Mail zum Beispiel mittels SMTPs senden und via IMAP / POP3s Empfangen. Oder Dateien von meinem Rechner auf einen Server schieben – SFTP / FTPs. Und so weiter… Protokolle gibt es zu hauf. Und jetzt wird es interessant: Das World Wide Web (www) ist keines dieser Protokolle. Es ist einfach nur eine Bezeichnung für, per HTTPs bezogene, Webseiten. Man kann behaupten das WWW wäre Teil des Internets (weil es ja früher mal als Subdomain in der URL einen eigenen Namespace hatte). Keinesfalls ist es aber *das* Internet! Ist es nicht! Wirklich nicht! Und vermutlich macht es nicht einmal den größten Teil des Traffics aus. Wobei… streamt Netflix per HTTPS? Wenn ich nämlich nachts 50 GiB mittels rsyc oder ähnlichem bewege, hat das mit WWW erstmal gar nichts zu tun. Aber das WWW ist das, was die Menschen benutzen wenn sie bei Facebook, Twitter oder halt YouTube zugange sind.

Das Ende des Usercontent!!!

Und keinesfalls ist es so, dass der Einfluss dieser Portale auf die Welt zu groß eingeschätzt werden könnte! Hinsichtlich Vernetzung, Information – ja, gerade auch wegen den Fakenews – und Unterhaltung wäre diese Welt eine andere, gäbe es nicht Portale, welche im Wesentlichen davon leben, den Content von ihren Usern zu managen. Und dieser, von Usern erzeugte Content, enthält auch immer mal wieder Inhalte, für die der User eben keine Rechte besitzt. Ich meine explizit *NICHT* die klassischen Raubkopien, die irgendwo geteilt werden. Aus diversen Gründen sind diese Portale relativ leicht von den Rechteinhabern greifbar, oder so klein dass sie schlicht bedeutungslos sind. Und Läden wie YouTube gelingt es ziemlich gut, Raubkopien zu verhindern. Jetzt gibt es aber Texte, Bilder (ganz heißes Thema), Musik natürlich und dutzende weitere Bereiche, in denen User gerne mal Inhalte uploaden, für die sie nicht die Berechtigung besitzen. Millionenfach z.B. für Memes. Oder Songs die in grottiger Qualität mit dem Handy auf einem Konzert aufgenommen wurden.

Die Rechteverwerter behaupten, dass diese Verhaltensweisen die Künstler in den Ruin treiben. Ich kann das nicht beurteilen. Ich möchte aber erhebliche Zweifel daran anmelden! Ich kenne keinen, aber auch wirklich nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Künstler ruiniert werden, weil User – möglicherweise als Form der Fanart – ihre Werke bei YouTube oder Facebook mit einem weit größerem Publikum teilen. Andererseits sehe ich ständig offizielle Accounts, die massiv Inhalte ins Internet blasen damit bloß maximal viele Menschen diese auch zur Kenntnis nehmen (und dann direkt via der beworbenen Links das Album kaufen). Offensichtlich scheint es Verkäufe also anzukurbeln wenn man im Internet bekannt ist?! Lange Rede, kurzer Sinn… Die Rechteverwerter haben gerade noch genug Geld, um eine Armee von Lobbyisten zu bezahlen, welche in Brüssel für absurde Richtlinien trommelt. Mit recht großem Erfolg wie man derzeit sieht. Der entsprechende Vorschlag der EU Kommission sieht also folgendes vor:

Diese Diensteanbieter sollen für Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer vollständig haften, außer sie (a) unternehmen alle Anstrengungen mit den betroffenen Rechteinhabern Lizenzen auszuhandeln, (b) setzen verhältnismäßige (technische) Maßnahmen zur Verhinderung dieser Verstöße (der sog. „Upload-Filter“) ein und (c) entfernen bei Kenntnis eines Verstoßes das betroffene Werk und verhindern dessen erneutes Hochladen.

Quelle: Wikipedia

Technische Maßnahmen um Verstöße zu verhindern. Das ist eine spezielle Form der Hölle, geschaffen von technisch sehr einfach strukturierten Personen! Das ist technisch derart neben der Spur, dass hier nicht zu unrecht die Rede vom Ende des Usercontent ist. Kein technisches System kann heute erkennen, was Satire ist. Die meisten hätten bereits Probleme, ein minimal bearbeitetes Bild zuverlässig mit dem Original abzugleichen. Die Gefahr von umfassendem Overblocking ist also absolut real.

Overblocking ist schon ziemlich ätzend für die Meinungsfreiheit. Eine andere Sache ängstigt mich aber weit mehr… Quasi im Vorbeigehen wird eine, im Ansatz “perfekte” Zensurmaschine eingeführt. Und das nicht in Bereichen die man einfach ignorieren könnte. Statt dessen wird sie den wesentlichen, zur Meinungsbildung – ob man das nun gut findet oder nicht – und zur Informationsgewinnung genutzten Diensten vorgeschaltet. Usercontent ist eine Form der Information, die vielleicht ihre Schwächen hat, aber sie ist eine mehrheitlich freiheitliche Informationsquelle.

Hallo Zensur – my good old Friend

Wenn jeder Anbieter auf dessen Plattform sich User durch selbst generierten Content austauschen, über Filter verfügt, die diesen Content beim Upload auf Urheberrechtsverstöße hin untersuchen, habe ich ein ganz hervorragendes Mittel um Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu nehmen. Mir gefällt ein Meme nicht? Zack, auf die Liste. Mir gefallen Hashtags nicht? Liste! Mir gefallen Phrasen nicht? Liste. Und so weiter, und so weiter. Klar, in einer freiheitlichen Demokratie kein Problem. Aber wie lange ist eine Demokratie noch freiheitlich? Die Rechten sitzen im Bundestag. Daran muss vielleicht nochmal kurz erinnert werden. Und es gibt vieles, was solche Gruppen gerne nicht in der Öffentlichkeit sehen. Selbst unsere “demokratische” Regierung beweist immer wieder, dass es Themen gibt, die sie nicht sehen will wenn nicht in “ihrem” Sinn darüber berichtet wird [Link]. Wie mag es mit der Auslegung von Recht und Gesetz also laufen, wenn erst “radikalere” Kräfte an der Macht sind? Und aktuell scheint es leider so zu sein, dass die deutschen WählerInnen den Bekloppten noch mehr Regierungsbefähigung zutrauen als bisher. Allen Affären zum Trotz.

Im Angesicht einer möglicherweise rechten Regierung(sbeteiligung) sollten wir also sehr genau darauf achten, welche Techniken wir uns ins Haus holen. Wir können anscheinend nicht mit Sicherheit sagen, wer morgen die Kontrolle darüber hat.

Alles ist so furchtbar und niemand tut was?!

Eigentlich sollte ich also froh sein, dass da Kinder und Jugendliche aufstehen und für den erhalt des Internets protestieren. Ich denke aber, es besteht die Gefahr, dass sie sich damit einen Bärendienst (konnte ich dieses Wort auch endlich mal benutzen) erweisen. Natürlich bedroht Artikel 13 in einem besonderen Maße die großartigste Erfindung seit dem Buchdruck! Natürlich ist hier direkt die Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit gefährdet. Natürlich müssen die alten Leute in den Parlamenten lernen, dass sie über Dinge entscheiden, die sie nicht verstehen und von deren Umfang und Bedeutung sie keine Ahnung haben. Aber die Masse springt auf und schreit: “Zerstört nicht mein Internet”. Und dazu werden “lustige” Insidergags auf Plakaten gezeigt.

Koeln_23FEB_CC-BY_Dennis_Deutschkämer

Und was kommt bei den Mächtigen an? Kinder demonstrieren in einer Geheimsprache. Und ich könnte es ihnen nicht einmal verübeln! Und auch wenn die Proteste gegen Artikel 13 einen direkten, positiven Effekt auf den Rest des Internets haben, so finden sie meiner Meinung nach unter den falschen Schlachtrufen statt. Es geht den meisten Demonstranten kaum um Netzneutralität (wie viele mögen die supidupi “StreamOn” Option der Telekom aktiviert haben?!), oder um eine gestärkte Demokratie in der sich die Bürger neutral und ohne Angst vor Überwachung jederzeit über alle Themen im Internet informieren können. Es geht kaum darum, die Datensammelwut von Konzernen und Staat zu begrenzen – auch und gerade, um die Beeinflussung der Menschen durch eben jene zu unterbinden. Es geht nicht darum, die Infrastruktur so auszubauen und zu liberalisieren, dass jeder zu jedem Zeitpunkt davon profitieren kann. Es geht eher nicht darum, den Menschen im Internet Rückzugsräume zu lassen, in denen sie sich ohne Überwachung austauschen können…

Es geht um viele Dinge dabei nicht. Und wenn dieser Protest ein Problem damit hat von den Mächtigen ernstgenommen zu werden, dann weil er so schön von den Portalen synchronisiert wurde. Die großen Player der Portale haben in den vergangenen Wochen nicht weniger Lobbyarbeit betrieben, als die Befürworter dieser unsäglich dämlichen Verordnung. Und weil es in den Protesten eben – wenigstens in der öffentlichen Wahrnehmung – ausschließlich um den “Schutz” von YouTube, Twitter und Facebook geht, erhält die Aktion auch nicht den Respekt, den sie verdient hat. Dazu hätte es mehr gebraucht. Zu leicht lässt sich die Aktion mit dem Hinweis auf (vermutlich) kurze Halbwertzeit vom Tisch wischen. Ja, möglicherweise wirkt die Drohung bezüglich der bevorstehenden Europawahl. Es wäre wünschenswert. Es wäre wünschenswert, wenn die Abgeordneten verstehen, dass sie nicht einfach dem Geplapper der Lobbyisten blind folgen dürfen. Dass es in der wirklichen Welt eine Masse von Menschen gibt, auf deren tägliches Leben die in Brüssel getroffenen Entscheidungen, mehr oder weniger direkte Auswirkungen haben. Noch mehr hätte ich mir aber gewünscht, dass die Menschen für größere Ziele aufstehen. Dass die Demonstrationen in ihren Themen nicht so eingeschränkt sind, sondern sich all den verschiedenen Problemen widmen, die die Freiheit des Internets in seiner Gesamtheit bedrohen.

Das Internet ist eine Ansammlung verschiedener Technologien. Verschiedener Dienste. Verschiedener Ideen. Aber in ihrer Gesamtheit entsteht daraus eben jener “Raum”, der Menschen Platz bietet um sich zu entfalten. Ein Raum, voll mit vielem, das wir eigentlich lieber nicht sehen wollen. Aber auch ein Raum, voll mit der Kreativität der Menschen. Das mit weitem Abstand wichtigste Medium, das wir heute haben. Wir sollten uns bemühen, es so zu erhalten, dass es frei bleibt. Dafür ist es erforderlich, immer wieder dafür zu kämpfen und gut darauf aufzupassen. Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die heute demonstrieren um anderen das Internet zu erklären, selbst verstehen, dass eben jenes Internet nicht nur aus YouTube und Instagram besteht. Das es soviel mehr gibt als nur lustige Memes und Videos. Und dass das alles wichtig ist.


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