Social Media in 2024

Screenshot von X zeigt ein Posting von Jens Spahn und die Anwort des Bundesministriums für Wirtschaft darunter
Internet

Machen wir uns nichts vor, die Welt hat sich verändert. Wirklich sehr verändert. Und leider nicht immer zum Besseren. Digitalisierung hat uns in ganz wesentlichen Aspekten des täglichen Lebens voran gebracht. Also nicht in Deutschland, aber in vielen anderen Teilen der Welt. In Deutschland müssen wir alles erst nochmal auf schlechte Art neu erfinden und dann sein lassen. Deswegen… ach, lassen wir das. 

Im Zuge der Digitalisierung hat sich auch die Kommunikation wenigstens in meinem Empfinden ganz wesentlich verändert. Dabei finde ich, dass sie nicht einmal vom “Tonfall” anders geworden ist. Der war, wenigstens in meiner Welt, schon immer recht rau. Aber heute wird halt im Zweifelsfall jeder gehört. Und dank Algorithmen, die darauf ausgelegt sind, Menschen an die Plattform zu binden, hört auch wirklich jeder Jeden. Ob man nun will oder nicht. 

Die allermeisten User verwenden wohl Social Media ausschließlich passiv. Sie lassen sich den Content von der jeweiligen Plattform vorwerfen und konsumieren einfach. Und das ist auch wirklich vollkommen in Ordnung. Man kann Social Media problemlos nutzen, um einfach mal den Kopf auszuschalten. Ich kenne jemanden, der den Instagram Algorithmus so trainiert hat, dass nur schöne und entspannende Dinge angezeigt werden. Und viele Plattformen sind sicher auch gut geeignet, um mit entfernten Personen in Kontakt zu bleiben. Ich muss da ein bisschen spekulieren, da ich im privaten Umfeld, vom Fedivers abgesehen, mit Social Media nichts mehr zu tun habe. 😉

Aber während die meisten von uns sich einfach berieseln lassen, gibt es ein paar Wenige, die sich darauf spezialisiert haben, die Plattformen zu ihren Zwecken zu nutzen. Die harmloseste Variante sind wohl Influencer und deren Produzenten. Jeder Beitrag, jeder noch so kleine Content, ist nur darauf ausgerichtet, die Mechanismen der jeweiligen Plattform für die maximale Reichweite zu nutzen. 

Was für Schleichwerbung an Kinder taugt, lässt sich natürlich auch für Desinformation, Extremismus und all das andere Zeug nutzen, das hervorragend geeignet ist, unsere Demokratie und das daran hängende System von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu zerlegen. 

Während ich das hier schreibe, verbreitet sich im Internet ein Post von Jens Spahn, welchen er bei X abgesetzt hat. 

Der Jens hat gehört, dass Deutschland Frankreich einen Brief geschrieben habe, in dem es um Importe von französischen Strom gehen solle. Die “Meldung” hat er vermutlich aus der BILD, welche den Quatsch ebenso rausgehauen hat. 

Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall. Weshalb sich auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz auf X  zu einer Richtigstellung gezwungen sah. Das ist schon auf eine Art peinlich, welche sogar für Jens Spahn ungewöhnlich ist. Bei Volksverpetzer hat man die Story in lang auseinander genommen. Lesenswert! 

Bis hierhin läuft eigentlich alles ganz gut. Ein paar (die es wirklich besser wissen sollten!) erzählen Blödsinn. Viele, die sich mehr Mühe mit der Informationsbeschaffung machen, korrigieren das. Und in einer perfekten Welt wäre die Geschichte jetzt zu Ende. Alle würden sehen, dass da ein Politiker keine Ahnung von seinem Job hat. 

Jetzt ist die Welt aber nicht perfekt. Und wir leben in einer Welt, in der die Systeme die “Informationen” nicht einfach nur verbreiten, sondern auch verarbeiten. Und bei Bedarf erneut ausspielen. Im Zweifelsfall auch ohne die Richtigstellung. Und wir leben in einer Welt, in der die vielen Interaktionen mit Accounts, wie dem von Jens Spahn, dessen Reichweite direkt positiv beeinflussen. Das ist ein sehr unschöner Kreislauf. Ein sich selbst verstärkendes System, dessen Output bei Menschen landet, die vielleicht nicht fähig sind, die Qualität solcher Aussagen einzuordnen. Oder es auch gar nicht wollen. Die empfänglich für einfache Antworten sind. Und wenn diese wie in diesem Fall von einer vermeintlichen Vertrauensperson (war da nicht mal was mit Masken?! 😉) kommen, wiegt das ohne Frage noch ein ganzes Stück schwerer. 

Und das ist ein eher einfaches Beispiel. Hier geht es nur um die Unfähigkeit eines Politikers mit dem Hang zur Selbstdarstellung. Das ist keine professionelle Kampagne, welche unter strikter Regie abläuft. Es ist keine gut gemachte Geschichte mit dem Ziel, den Menschen, die in Kontakt mit ihr kommen, eine implizite weitere Nachricht mitzugeben. Aber die Techniken, die dazu führen, dass beides so verheerend für die Demokratie und die Gesellschaft sein kann, sind die Gleichen. Firmen, mal mit mehr, mal mit weniger staatlichen Einflüssen, entwickeln und betreiben Systeme, die als Multiplikator für Bullshit und Manipulation dienen. Das war ziemlich sicher nicht ihre Intention. Sie wollen, dass Menschen abhängig von ihren Angeboten werden. Dass die Menschen so lange wie möglich auf der Plattform bleiben und dabei so viele Daten wie irgend möglich hinterlassen. Und diese Daten verkauft man - auch gerade an die, die die Plattformen gezielt für die Verbreitung von Desinformation nutzen. Fake News as a Service würde man heute wohl dazu sagen. 

Unabhängig - Timing ist ja bekanntlich alles - von diesem Text hat Australien heute ein Verbot von Social Media für Kinder unter 16 Jahren verabschiedet. Als jemand, der immer wieder sieht, was Kinder und Jugendliche mit Social Media so anstellen, wenn man sie lässt, frage ich mich nur, warum nicht 25. Aber okay, das ist die Meinung von einem minimal älteren weißen Mann. Als Techniker weiß ich natürlich, dass das eher Kosmetik ist. Aber man mag es vielleicht als Signal an die Firmen verstehen, die dort einen wesentlichen Teil ihrer Zielgruppe verlieren. Einfach alles laufen zu lassen - egal ob sexueller Missbrauch, Mobbing, Desinformation, you name it - kann nicht Teil des Geschäftskonzept sein. Die Jugend zu “schützen” mag ein Anfang sein. An der gezielten Manipulation ganzer Bevölkerungsschichten ändert das leider nichts. Aber es zeigt, dass die Gesellschaft nicht nur zusehen muss. Als Mehrheit haben wir Möglichkeiten, den Firmen Spielregel aufzuerlegen. Wir können sie dazu zwingen, etwas gegen den gefährlichen Schwachsinn auf ihren Seiten zu tun. Und wer sich einmal die Liebe der Extremisten für diese Plattformen ansieht, der bekommt eine Ahnung, warum eine globale Reglementierung wirklich dringend nötig ist. 

Es wäre im Interesse der Firmen, denn was auch immer nach der Demokratie kommt - es wird sehr viel weniger Geld mit sich bringen. Oder Freiheiten. 

This article was updated on 29 Nov. 2024